Stellen Sie sich vor, Sie suchen den Schnappschuss vom Wasserfall in einer Sammlung von 378 Urlaubsfotos. Wahrscheinlich werden Sie in einer wohldurchdachten Ordnerstruktur schnell fündig. Oder Sie nutzen die Sortierfunktion in Ihrem Fotobearbeitungsprogramm, vielleicht auch die Kombination aus beiden Möglichkeiten. Spannend ist, welche Klickwege dabei selbstverständlich für Sie sind.
Sollten Sie am Rechner nach Ihren Bildern oder Dokumenten suchen, so unterliegen Sie nicht nur den gegebenen technischen Restriktionen, sondern auch den Intentionen der Hersteller. Zum Beispiel würde ein Entwickler die Fotos in einer sehr detaillierten Datenbank sortieren, während andere sich erst einmal eine Übersicht der Fotos wünschen. Die Nutzererfahrung (User Experience) ist damit sehr individuell und nicht nur an demografische, sondern auch an soziologische und kognitive Faktoren gebunden. Um die bestmögliche Gebrauchstauglichkeit (Usability) zu erreichen, muss man den Nutzer verstehen.
Das gilt nicht nur bei der Suche nach dem Foto mit dem Schnappschuss vom Wasserfall. Insbesondere gilt es auch bei der Einführung von Intranets. Man muss wissen, welche Hürden der Nutzer bei der Bedienung des Intranets zu überwinden hat und welche Probleme es zu lösen gilt. Um an diese Juwelen zu gelangen, bieten sich daher Interviews und Beobachtungen als etablierte Methoden zur Perspektivübernahme an. Dabei geht der Erkenntnisgewinn aus Sicht der Nutzerperspektive weit über den Aspekt der Gebrauchstauglichkeit hinaus.
Interviews und Beobachtungen helfen auch hierbei:
- Sie unterstützen die allgemeine Evaluierung und Erhärtung von Anforderungen.
- Sie helfen beim Generieren von Nutzermodellen, den sogenannten Personas.
- Sie haben einen positiven Einfluss auf die Analyse des User-Centered Designs in verschiedenen Projektphasen.
- Sie dienen als Anregung für Launch-Kampagnen.
Qualitative Interviews
Interviews generieren direkte Einblicke in anwenderbezogene Abneigungen und Vorlieben. Der Vorteil von Interviews ist die sehr gute Skalierbarkeit:
- online oder telefonisch
- strukturiert oder unstrukturiert
- konzentriert bei einem 1:1-Interview
- moderierend mit Diskussionsmöglichkeiten, zum Beispiel in einer Fokusgruppe.
Interviews zu konzipieren ist allerdings immer eine Frage der Intention und des Kontextes. Gilt es vergleichende und schnelle Ergebnisse zu erzielen, bietet sich ein standardisiertes Set an strukturierten Fragen mit geschlossenen Antwortmöglichkeiten an:
- Beispiel: „Bewerten Sie die Qualität der Suchergebnisse auf einer Skala von 1 bis 5.“
Ein unstrukturiertes Interview hingegen gibt lediglich Themen vor und ähnelt eher einer Konversation. Die Teilnehmer können sich mit eigenem Vokabular und Metaphern äußern. Sie geben dabei zum Beispiel wertvolle Einblicke in die Unternehmenskultur, die vorher in keinem Kontext thematisiert wurden.
- Beispiel: „Beschreiben Sie welche Systeme, Dokumente und Anwendungen Sie an einem gewöhnlichen Arbeitstag verwenden.“
Semi-strukturierte Interviews lassen den Teilnehmer bei der Beantwortung der Fragen eigene Schwerpunkte setzen, während der Interviewer durch gezieltes Nachfragen stärker involviert ist.
Gilt es in einer größeren Runde unternehmensbezogene Konventionen gemeinsam zu erörtern, bietet sich eine Fokusgruppe an. Solche Gruppeninterviews in anfänglichen Projektphasen bieten unter anderem eine gute Basis für folgende Einzelinterviews und Beobachtungen.
Beobachtungen
Wenn Sie behaupten, das eingangs erwähnte Foto innerhalb von drei Klicks zu finden, dann stimmt das sicherlich. Wir Menschen sind schließlich optimistische Wesen. Dass der Rechner aber 23 Minuten zum Hochfahren benötigt und Sie augenrollend die Zeit zum Sortieren von Unterlagen nutzen, ist für Sie keine Erwähnung wert. An gewisse Details können wir uns auch nicht mehr erinnern oder haben sie anders “abgespeichert” als sie tatsächlich passiert sind. Eine wertfreie Beobachtung geht daher über das Erzählte hinaus. Sie ist der wahre Schatz zur Bestandsaufnahme der Usability, von Arbeitsprozessen und der unmittelbaren Arbeitsumgebung. Das ist insofern wichtig, weil eine Wechselbeziehung zwischen Kognition und Sensomotorik besteht, die sich in Denkprozess und Verhalten widerspiegelt (Embodied cognition).
Beobachtungen und Interviews lassen sich gut in einem kontextuellen Interview kombinieren: Während oder nach einem realen Nutzungsszenario (Use Case) erfolgt eine Reflektion mit offenen und geschlossenen Fragen.
- Beispiel: „Wie stellen Sie Informationen anderen zur Verfügung und wie bewerten Sie dieses Vorgehen?“
Teilnehmer
Aber wer steht schon gerne unter Beobachtung? Und wer möchte bei einer Usability-Aufgabe nicht gerne gut abschneiden?
Um Teilnehmer zu gewinnen, ist eines wichtig: Im Vorfeld positive und transparente Aufklärungsarbeit zu leisten. Zum einen gilt es klarzustellen, dass nicht die Probanden, sondern Systeme und Arbeitsprozesse geprüft werden. Zum anderen haben die gewonnen Erkenntnisse keine personellen Konsequenzen, werden nicht weitergetragen und haben somit nur eine Relevanz für das Projekt an sich.
In der Regel werden Möglichkeiten zum Feedbackgeben auch gern von den Mitarbeitern angenommen. Sie nutzen die Chance, ein Teil des Projektes zu sein und Veränderungen aus ihrer Perspektive voranzubringen. Das bedeutet allerdings auch, dass es wichtig ist, Teilnehmer für den Nutzen ihres Beitrages zu sensibilisieren und sie über den Projektverlauf auf dem Laufenden zu halten.
Die tatsächliche Auswahl der Partizipanten sollte so heterogen wie möglich und so homogen wie nötig erfolgen. Gerade bei mehreren Beteiligten, etwa einer Fokusgruppe, ist ein geringes Hierarchiegefälle ratsam, um sozial akzeptierte Antworten zu vermeiden.
Im Rahmen von kontextuellen Interviews ist es hilfreich, schon vorher die Bedürfnisse der Teilnehmer zu kennen, um inhaltlich relevante Schwerpunkte setzen zu können. Nicht außer acht gelassen werden darf dabei, dass Beobachtungen und Fragestellungen nur im Kontext der tatsächlichen Rolle des jeweiligen Mitarbeiters erfolgen können. Was das heißt? Für einen Projektleiter werden beispielsweise die Schwerpunkte unter dem Aspekt der Koordination und Einhaltung von Workflows betrachtet. Für den Sachbearbeiter steht aber die Informationsbeschaffung und Kommunikation im Vordergrund. Er kann aufgrund seiner Rolle keine Aussagen zu den tatsächlichen Hürden im Arbeitsprozess des Projektleiters treffen und umgekehrt. Es hat sich daher als hilfreich erwiesen, Bedürfnisse in Bedarfsrollen zusammenzufassen, zu priorisieren und anhand dessen die Teilnehmer auszuwählen.
Fazit
Wenn Interviews und Beobachtungen durchgeführt, analysiert und die Resultate umgesetzt werden, bieten sie einen deutlichen Mehrwert bei Intranet-Projekten, der sich reinvestiert:
- Kurze Entwicklungszeit führt zu weniger Entwicklungskosten.
- Reduzierte Fehleranfälligkeit führt zu weniger Supportkosten.
- Einfache Erlernbarkeit führt zu einem geringeren Schulungsumfang.
Das Wichtigste aber: Diese Methoden zur Perspektivübernahme sind die Basis dafür, dass die Einführung bzw. Weiterentwicklung eines Intranets zu einer hohen Akzeptanz unter den Mitarbeitern führt und die Plattform in der Folge stark von ihnen genutzt wird.
Wir von HIRSCHTEC sind überzeugt: Intranet-Projekte müssen immer aus einer 360-Grad-Perspektive betrachtet werden. Und es braucht vor allem einen Einblick in die Köpfe der Nutzer, um ein Intranet wirklich zum Leben zu erwecken.