Aus hierarchischen Unternehmen werden Netzwerke
Manchmal hält das Leben echte Überraschungen und Zufälle für einen bereit. Neue Perspektiven und neue Blickwinkel tun sich völlig aus dem Nichts auf. So war es einer dieser Zufälle, der mir Ende Januar eine Ausgabe der FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) in die Hände spielte.
Im Gespräch mit der FAZ war kein Geringerer als Don Tapscott, Professor für Management an der Universität von Toronto und vielen in der Twitter– und Facebook-Welt bestens bekannt. Die Überschrift lautete „Aus hierarchischen Unternehmen werden Netzwerke“.
Gerade im Kontext zu meiner täglichen Arbeit bei HIRSCHTEC, bei der ich Unternehmen auf ihrem Weg zu einem interaktiven Intranet begleite, möchte ich zu einigen Aussagen meine Einschätzung mit Ihnen teilen.
„Das Internet aber gibt uns nicht nur Zugang zum geronnenen Wissen, sondern zu einer Intelligenz, die in den Köpfen aller Menschen dieser Welt steckt. Deshalb würde ich unser Zeitalter auch nicht als ein „Informationszeitalter“ beschreiben. Es zeichnet sich bereits ein „Zeitalter der vernetzten Intelligenz“ ab mit einer Verschiebung hin zur Kollaboration und Partizipation“
Kollaboration in der heutigen Arbeitswelt findet oftmals nicht statt. Wenn überhaupt, dann nur im kleinen, abgeschotteten Kreis und für andere Kollegen nicht sichtbar. In unseren Projekten stellen wir z.B. fest, dass über 70% aller virtuellen Arbeitsräume oder Communities zugriffsbeschränkt sind. Aber warum? Warum nicht mehr kooperieren und Informationen firmenintern offen allen zur Verfügung stellen? Warum fällt es uns (noch) so schwer, kollaborativ mit anderen zusammen zu arbeiten und was würde theoretisch dabei heraus kommen? Don beschreibt es wie folgt.
„Aber produktives Arbeiten heißt nicht unbedingt, dass man härter arbeitet oder mehr Ideen je Stunde generiert. Es bedeutet, dass wir lernen, besser zu kooperieren. Der Metabolismus (i.e. Stoffwechsel) der Arbeit erlangt ein höheres Niveau, wenn Sie den Rest der Welt beteiligen“
Den Rest der Welt beteiligen. Das ist es, was uns so schwer fällt. Andere an meinem Wissen teilhaben lassen. Die Angst loslassen zu müssen, die Kontrolle abzugeben und darauf zu vertrauen, dass das Ergebnis nach Einbezug von vielen besser wird, als bei wenigen ausgewählten Kollegen. Unternehmen fürchten hier immer vermeintliche chaotische Arbeitsweisen und hohe Ineffizienzen. Dabei verlaufen doch viele Informationsprozesse gerade ohne umfassende Abstimmung viel ineffizienter und im Verborgenen schon heute recht chaotisch.
Ein anderer Bereich, der aktuell immer mehr mit Vernetzung, Kollaboration und Social Business in Verbindung kommt, ist das Personalwesen. Talente findet man heutzutage nicht mehr nur intern. Don hat auch hierzu seine Therorie.
“Nehmen wir zum Beispiel einen Chemiker bei Proctor & Gamble (P&G). Das Produktivste, was er tun kann, ist nicht unbedingt, eigenständig ein paar neue Moleküle zu entwickeln. Produktivitätszuwächse liegen eher darin, an Kollegen auch außerhalb der Grenzen von P&G (Proctor & Gamble) heranzukommen, und dort einzigartige Köpfe zu finden, die es in der eigenen Organisation nicht gibt.”
Mit den heute noch engen Grenzen in der internen Kollaboration ist diese nach außen gerichtete externe Kollaboration sicher eine der größten Herausforderungen. Eine interne Transparenz wird dann vermutlich eine ausgewählte externe Öffnung nach sich ziehen.
Die deutsche Wirtschaft ist geprägt durch den Mittelstand und wird durch diesen am Laufen gehalten. Das deutsche Industriemodell, mit familiengeführten Unternehmen und mittelständischen Betrieben, muss sich in der globalen Weltwirtschaft auch gegen vernetzt arbeitende Unternehmen und Kooperationen durchsetzen. Doch gibt es hier zur deutschen Unternehmens-Landschaft einen Konflikt? Nicht wenn es nach Don geht.
“Es gibt keinerlei Widerspruch zu produktiven und innovativen Produktionsfirmen, da diese ebenfalls Wissensorganisationen sind. Nehmen wir das Design oder die Produktion eines Automobils. Beides geschieht heute in Netzwerken. Und deutsches Engineering war immer gut darin. Engineering auf einem professionellen Niveau ist immer Wissensarbeit. Nehmen wir das Beispiel Local Motors in den Vereinigten Staaten. Diese Firma hat 5000 Designer, aber mit allen ist sie nur über das Internet verbunden. Sie hat 30 Produktionsstätten und stellt Mitarbeiter aus den Regionen für die Bedürfnisse der regionalen Kunden bereit.”
Weltweit agieren und dennoch lokal auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen. Es steht dem deutschen Modell also nichts im Wege, wenn man sich auf die Veränderungen in der Kommunikation, sowohl intern als auch extern, einlässt. Das sorgt natürlich immer wieder für reichlich Verwirrung und kontroverse Diskussionen. Warum man aber auch auf die nachrückende Generation in der Arbeitswelt hören sollte, ist noch nicht allen klar. Auch die Zusammenhänge sind vielen noch fremd. Ein im Interview angeführtes Beispiel ist die Diskussion zwischen einem Chefarzt und einem angehenden Arzt während der Personalmarketingrunde. „Die Hospitation in Ihrer Klinik war klasse, Sie kommen in die engere Wahl“ sagt der angehende Arzt zum Chefarzt. Auf soviel Offenheit war der Chefarzt nicht eingestellt. Mögliche Vorgehensweisen wären zum Beispiel.
“Ich würde den jungen Leuten zuhören. Ich sage das nicht nur wegen ihres Wissens oder ihres Verstandes. Sie arbeiten anders. Sie sind ganz anders aufgewachsen, mit einem höheren Maß an Interaktion und Zusammenarbeit. Sie haben zum Beispiel eine beeindruckende Augenkoordinationsfähigkeit durch ihre Erfahrungen mit Videospielen und anderen Anwendungen dieser Art. Diese Generation wird deshalb bei bestimmten neuen medizinischen Verfahren und Techniken wie Mikrochirurgie erhebliche Vorteile haben. Ich glaube auch, dass diese Ärztegeneration eine neue Arbeitskultur und ein neues, mehr auf Zusammenarbeit basierendes Health-Care-Modell entwickeln wird. Dies wird anfangen bei der Veränderung der Haltung: „Ich bin ein Arzt, ich habe das Wissen. Ich bin der Einzige, der Sie heilen kann. Reden Sie bitte mit niemanden sonst darüber“.
Kinder spielen und kommunizieren in der Tat schon im Grundschulalter gänzlich anders als ich (Jahrgang 1972) das seinerzeit getan habe. Aber das alles in Zusammenhang mit dem Antrainieren von Fähigkeiten zu bringen, auf die Idee wäre ich zumindest nicht spontan gekommen. Die Chancen ein besserer Mikrochirurge zu werden, nachdem man in der Kindheit den ein oder anderen Highscore auf dem Gameboy geknackt hat, steigen also scheinbar doch 😉
P.S. Die CIO berichtet aktuell ebenfalls über das Thema Digitalisierung in Deutschland und greift unter der Schlagzeile “Digitalisierung ist Wachstumstreiber in Deutschland” eine BITKOM Studie auf. Demnach ist die Digitalisierung kein “Jobkiller”, sondern ist einer der Wachstumstreiber in Deutschland.